Buddhist Tantra

Seit 200 Jahren fühlen sich viele Menschen von Tantra angezogen, vor allem wegen seiner Verbindung zur Sexualität. Es ist leicht, dieses Interesse als oberflächlich abzuwerten. Doch tatsächlich steckt eine echte Intelligenz hinter dieser Anziehung zu Tantra, die weit über die sexuelle Symbolik und die angeblichen sexuellen Rituale hinausgeht. Im Folgenden fasse ich 6 Merkmale der tantrisch-buddhistischen Philosophie zusammen.

6 Merkmale der buddhistisch-tantrischen Tradition

  1. Betonung der direkten Erfahrung: Während unser modernes Leben oft intellektuell geprägt ist, überlebten Menschen in den alten indigenen Traditionen und Kulturen der Welt durch die Entwicklung verschiedener menschlicher Fähigkeiten. Zum Beispiel waren sensorische Erfahrungen, die Wahrnehmung durch alle Sinne, in der Natur überlebensnotwendig. Auch das Erkennen und Vertrauen auf Gefühle oder Intuition war in vormodernen Kulturen relevant, spielt aber heute in einer standardisierten Umgebung kaum noch eine Rolle. Tantra legt jedoch grossen Wert auf die Öffnung und Entwicklung in Bezug auf direkte, unvermittelte Erfahrung.

  2. Tantra ist nicht-theistisch: Wie alle grossen buddhistischen Traditionen ist auch Tantra nicht-theistisch. Theismus ist die Vorstellung, dass das Gute und Wertvolle ausserhalb von uns liegt und dass wir einen Vermittler brauchen, um uns zu retten oder mit dem Wahren in Kontakt zu kommen. Die tantrische Sichtweise stellt das infrage. Im nicht-theistischen Buddhismus wird gesagt, dass alle Himmels- und Höllenzustände sowie die tiefste Erfüllung des menschlichen Lebens nicht von aussen kommen, sondern bereits in uns schlummern. Alles, was wir tun müssen, ist, unsere Masken abzulegen und diese Erfüllung zu entdecken. Meditation im tantrischen Sinne bedeutet daher, Schichten von Schleiern, Konzepten und Illusionen abzulegen, um unserer wahren Natur zu begegnen.

  3. Tantra legt grossen Wert auf den Körper: Unsere moderne Kultur ist stark vom Körper entfremdet. Menschen betrachten ihren Körper oft wie ein Auto oder ein Haus – als etwas, das man benutzt und manipuliert, um andere zu beeindrucken oder den eigenen Status zu erhöhen. Wir leben weitgehend in unseren Köpfen und haben wenig oder kein Bewusstsein für unseren Körper. Im tantrischen Buddhismus ist der Körper der Tempel der Erleuchtung. Durch die Arbeit mit dem Körper können wir tiefes Verständnis und Einsicht in die Realität der Dinge erfahren. Der Körper enthält all die Kraft, das Mitgefühl und die Weisheit, um einen volleren Zustand des Seins erlebbar zu machen.

  4. Betonung der weiblichen Energie und Symbolik: Im buddhistischen Tantra wird die weibliche Energie als Trägerin der erleuchteten Weisheit angesehen. Interessanterweise leben wir in einer Welt, die stark männlich geprägt ist – eine Welt der Bürokratie, der Regeln und der Praktikabilität. Diese Werte sind nicht zwingend problematisch, aber sie funktionieren nur, wenn sie durch die weiblichen Qualitäten von Raum, Intelligenz und Wärme ergänzt werden. In der tantrischen Tradition geht es darum, das Männliche und Weibliche in jedem Menschen, egal ob Mann oder Frau, in Einklang zu bringen. Diese Balance spiegelt sich auch in tantrischen sexuellen Praktiken wider, bei denen der Austausch von Energie einen vertieften Zugang zum eigenen Selbst ermöglicht.

  5. Die Verbindung zur Welt: In unserer modernen, konsumorientierten Gesellschaft wird die Natur oft bloss als Ressource gesehen. Tantra betrachtet die Welt jedoch als lebendig, intelligent und voller Weisheit. Flüsse, Berge, Bäume und Tiere besitzen Buddha-Natur, und erst durch unsere Verbindung mit ihnen finden wir unsere Menschlichkeit. Ohne diese Verbindung trennen wir uns von einer lebenswichtigen Quelle ab.

  6. Expandierendes Erleben: Tantra lehrt, dass die menschliche Erfahrung grenzenlos ist. Es gibt keine feste Realität, die für alle gleich sein sollte. Jeder Moment und jeder Tag sind einzigartig und bieten endlose Möglichkeiten für Wachstum und Freiheit. Tantra erkennt dieses unerschöpfliche Potenzial als Tor zur Weisheit und Befreiung an.

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